Freche Frisuren

Um es vorwegzunehmen: ich habe mir das erwartbare Elend nicht zugemutet und das verlinkte, clickbaitende Filmchen ignoriert. Als sichtbar Unbeteiligter habe ich zum Thema Frisur ohnehin nur mäßig beizutragen, bis auf mein hochsubjektives Enpfinden vielleicht, dass möglicherweise doch nicht jeder Kurzhaarschnitt per se als frech und flott taxiert werden sollte, nur weil er „anders“ ist. „Anders“ - der Begriff mit den zahllosen widersprüchlichen Synonymen, die sich in Ironie noch einmal exponentiell skalieren lassen.

Als „EigenArt“ wird die postklimakterische Haarvolution unter rebellierenden, kräftig selbstbestimmten Seidenmalerinnen gerne mal „völlig verrückt“ getitelt. Aber auch nur da, in der lärmig geschwätzigen Echokammer. Denn das ist, als wenn die Philatelisten - das sind die mit dem Hang zu Briefmarken, nicht zu den Kindern (!) - unter ihresgleichen einen Kollegen als „total crazy“ einordnen, nur weil der eine neonfarbene Sammelmappe präsentiert. Oder die Intensivtätowierten, die sich gegenseitig versichern, Gesichtsnadeleien seien inzwischen Standard und in der Breite der Gesellschaft total akzeptiert.

Hach, darauf ein Freschnettchen. Tatsächlich frech finde ich vielmehr, dass ein paar Styling-Morlocks in ihren abgelegenen Beauty-Höhlen, die „Uschi‘s Frisurenstübchen“ heissen oder besonders einfallsreich „Philhaarmonie“, behaupten, eine bunte Haarsträhne im abgefressenen Kopfmopp sei total kess oder gar kreativ. Oder sagen wir lieber krehaartiv? Gerne noch gepaart mit kunsthandwerklichem Ohr-Nament. Alles Unikate, wofür wir unbedingt dankbar sein sollten.

„Wer ein Herz für die Schönheit hat, findet Schönheit überall.“ Diesen hübschgefälligen Aphorismus hat der deutsche Kulturgeschichtler Gustav Freytag Mitte des 19. Jahrhunderts statuiert, aber da konnte er auch noch nicht ahnen, was Wella, Paul Michell, Joico, L'Oréal Professionel, Sassoon und Co. schamlos ersinnen würden, um ihre willfährigen Opfer sukzessive auszubluten, um sie dafür auch noch dreist auf den Catwalk der Schande zu schicken.

Bruno SchulzComment