„Du willst es doch auch …“

Vorhin bin ich bei meiner Facebookdaddelei durch ein paar Reels gestolpert. Kurze, allzu oft vollkommen sinnfreie Videoschnipselchen, mediales Kreuzfeuerstakkato für das Gehirn. Schlimme Zeitfresser sind das, am besten findet man bald den Ausgang, sonst fühlt es sich im Kopf ziemlich schnell an nach einer Mischung aus Zuckerwatte und Montageschaum und es wird einem ganz fad, wie auf dem Meer bei stark rollender Dünung in einem Schiffsrumpf ohne jeden Blick auf den Horizont, wenn man nicht wirklich seetauglich ist.

Ich habe kurz vor meinem rettenden Exit gerade noch so eben sehen können, wie eine sich dummpromisk präsentierende, investigative YouTube-„Interview“-Fachkraft smartphonebilligstproduziert ein paar offenkundig leibesertüchtigungsaffine junge Männer in Rotte, Heldenposen und scheinbar an deren Urlaubsdestination nach deren erfolgversprechenden Balzritualen und ihren zielführendsten Ansprachen an das andere Geschlecht zwecks Durchführung rhythmischer Paarungsgymnastik befragt.

Allesamt gerieren sich, als „wüssten sie nicht so genau, was sie da tun, das dann allerdings die ganze Nacht“ ... Madonna sei Dank für dieses Bonmot von Ewigkeitswert.

Ich bin ein alter Mann und stutze ob der niederstschwelligen Charmeoffensiven und der innovationsfreien Logorrhoe, warum das Engagement nicht, statt zu Jagderfolgen und Bodycounts (wie gruselig!), vielmehr zu einer dauerhaften Abfuhr in eine Einrichtung sorgt, in der es Jacken gibt, bei denen die Ärmel ganz praktisch zusammengebunden werden können und sich die idiotischsten Ideen an den Gummiwänden der Einzelkabinen aus den Köpfen radieren lassen.

War das früher eigentlich besser, wie uns zahllose Ewiggestrige und ihre perfiden Social-Media-Kanäle Glauben machen wollen? Wohl kaum. Zwischenmenschliche Katastrophen gibt und gab es in jeder Generation - dafür aber reichlich - die damals wie heute zurecht jede Hürde zur Kontaktanbahnung und finalen Beischlafgewährung rissen und reissen. Disqualifikation sofort! Rote Karte!

Und so kann ich mich dann doch noch freuen, dass das belullende Schrottformat ausreicht, in mir melancholische Momente zu triggern in Erinnerung an ein paar besonders begabte Zeitgenossen in der bespielten Disziplin:

Da war mal, allen voran, ein bemerkenswerter Bekannter, Gott hab ihn selig, der schmerzfrei in wirklich jeder Runde alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen fähig war, indem er regelmäßig schlicht statuierte, er habe - „Achtung Damen, aufgepasst: ein kleines, elegantes Glied, das aber wirke wie ein großes, wenn man es nur hinreichend bespräche“. All eyes on him! Jetzt galt es nur noch ähnlich kreativ nachzulegen, was er mit ausgesprochener Lässigkeit vermochte, denn er hatte durch seine, vorsichtig formuliert, eher unauffällige Gestalt schon zu oft Schriffbruch erlitten, um sich nicht selbst in einer, sich abzeichnenden Niederlage kämpferisch zurechtzufinden, um auch auf der allerletzten Rille doch noch zu triumphieren. Chapeau, Respekt, wir entzünden eine Gedenkkerze. Ich muss die zahllosen Anekdoten und Geschehnisse endlich aufzeichnen, bevor sie für immer Opfer werden meiner partiellen Altersamnesie.

Und da haben wir das große Glück der Existenz sapiosexueller Neigungen noch gar nicht angerissen. Darüber dann ein andermal.

Gute Nacht.

Bruno SchulzComment