Olympia?
Olympia?
Olympia hatte für mich persönlich schon immer noch erheblich weniger Bedeutung, als etwa das „Fest der dicken Männer“ der Bodi im abgelegenen Omotal Äthiopiens, in dessen Nachbarschaft immerhin die Wiege der Menschheit vermutet wird. Auch weil da die Sache schon immer sonnenklar war und ist: Männer mästen sich im Wettstreit für die einmal jährlich stattfindende, mehrtägige Brautschau. Nur, dass hier die Bräute schauen, denn es gilt Damenwahl und der rundeste Kerl bekommt das schönste Mädchen oder wenigstens das mit den meisten Kühen und Ziegen und gut ist. Damit kann ich mich gewissermaßen identifizieren. Klare Nummer!
Bei Olympia ist das nicht ganz so einfach. War es nie. Olympia ist immer auch Politik. Da wird gemauschelt, geschoben und kürzlich hat sich eine wüste Geschlechterdebatte entzündet, bei der es vermutlich viel weniger um die Sache selbst geht, als um eine weitere Plattform für hysterische, pseudopolitische Auseinandersetzungen. Frauenboxen also. In Deutschland für die Amateurinnen erst 1995 legalisiert. Olympisch seit London 2012. Ganze 12 Jahre alt. Bislang interessierte das einen Großteil der Menschen in den sozialen Medien wie im echten Leben in etwa genauso stark wie die bhutanische Meisterschaft im Langbogenschießen in Timphu am Flüsschen Wang Chu im Himalaja auf dem Dach der Welt, da wo sich Yak und Sherpa Gutenacht wünschen.
Während Olympia Paris 2024 hat vorgestern im Eröffnungskampf eine algerische Boxerin triumphiert, in der viele einen Boxer sehen wollen. Da stehen eine Menge boshafte Unterstellungen und halbgare Pseudofakten im Raum. Einiges konnte bereits falsifiziert werden. Allerdings ist die Boxerin noch keine Boxerin, nur weil sie offenbar eben keine Transfrau ist. Die Beweisführung auf allen Seiten ist erschütternd unsachlich. Unwissenschaftlich. Laienkaffeesatzleserei. Mondphasengeschlechterbestimmung. Hat da jemand Bachblüten geraucht?
Da stehen sich eine überkommene, aggressive reaktionäre Agenda und dümmlich banales „virtue signaling“ diametral entgegengesetzt gegenüber. es gibt auch ehrlich und ernsthaft Interessierte, in homöopathischer Dosierung, die aber von den beiden brüllenden Rändern marginalisiert werden. Für die Blaunen sind sie „rotgrünversifft“ und für die bedingungslosen, in Teilen auch besinnungslosen Fürstreiter eben auch nur blaun. In der Debatte geht es drunter und drüber und die verblichenen privaten Fotos eines algerischen Kindergeburtstages werden schwerer gewichtet als ein einschlägiges DNA-Gutachten, das allerdings möglicherweise zurecht angezweifelt werden kann, aber immerhin die Boxerin vom letzten Weltmeisterschaftsfinale ausschloss. Wer weiss das schon? Intersexualität steht im Raum, von der Frank und Brigitte Mustermann soviel verstehen, wie eine Kuh von der bemannten Raumfahrt, was sie aber nicht daran hindert, unbeirrt mitzustreiten über „Pimmelchen und Vagina“, weil sie das vom Hörensagensehen kannten.
Was jetzt also? Ich bin mir noch unschlüssig. Wenn ich mich tatsächlich für das Frauenboxen interessierte, wäre ich für Fairness und wünschte mir eine seriöse wissenschaftliche Aufschlüsselung, nicht aber ein Plädoyer wie das der „Volksverpetzer“, auf die ich mich bislang sehr gerne verlassen habe, nach den letzten Aussagen über deren Niveau aber erheblich verwundert bin. Der Whataboutism, die XY-Chromosomenfrage mit einem Körperlängenvergleich beim Basketball abzudrängen ist als rhetorisches Mittel eine Beleidigung jeder Restintelligenz. Echt jetzt, muss das sein?
Und der brutal sachferne Thread zu deren halbseidenem Faktenvermittlungsangebot bestärkt mich vielleicht zunehmend darin, künftig bei solchen Themen endgültig abzuschalten, keine Partei mehr zu ergreifen, eine Meinung kundzutun, weil mich das alles als dicke, alte, weisse CIS-Hete sowieso kaum wirklich betrifft. Ist es das also, was Ihr wollt?
Jetzt schaue ich auf die Nordsee, übe mich in Kontemplation und Demut und denke: Go Wissenschaft or go home.
„All unsere Wissenschaft ist, gemessen an der Wirklichkeit, primitiv und kindlich - und doch ist sie unser kostbarstes Gut.“
Carl Sagan