Vom billigen Applaus.

Gestern spätabends bin ich in einem Thread zu einem meiner Beitäge mal wieder über einen despektierlichen Kommentar gestolpert, den ich so nicht zum ersten Mal lese: „Du postest hier nur für den billigen Applaus.“

Wenn man noch irgendetwas spürt, macht so eine Aussage natürlich etwas mit einem. Man überdenkt: Ist das wirklich so? Und worum geht es hier überhaupt? Oder schmeisse ich diesen Energievampir nicht besser gleich raus für alle Zeit, weil der seinen Maximalaffront ja bereits vorgetragen hat, der darum kein Plädoyer verdient?

Hm. Natürlich schreibt und postet man auch, um gelesen zu werden, keine Frage. Das ist ja Sinn und Zweck des Mediums. Ich muss aber sicher nicht leugnen, dass ich vor allem schreibe, weil ich tatsächlich einfach gerne schreibe. Gefallen daran finde, Gedanken auszuformulieren. Und das schon viele Jahre vor Social Media und auch ohne jedes Publikum. Und vieles gelangt auch heute noch nicht an die Öffenntlichkeit, weil es eben nicht für diese bestimmt ist.

Neben der mehr oder weniger komplexen Übermittlung von halbwegs neutraler, meist jedoch subjektiv gefilterter Information, dem Festhalten und Erzählen von Geschichten, von persönlicher Wahrnehmung und privatem Empfinden, dem Angebot zur Teilhabe an Ideen, Gefühlen, aber auch mal schlichten Pointen, kann das Schreiben vor allem dabei helfen, für sich selbst den Dingen auf den Grund zu gehen, sich mit etwas auseinanderzusetzen, ein Thema zu greifen, sich mit etwas zu befassen, etwas nachzuzeichnen. Das klingt alles ziemlich gegenständlich und eigentlich ist es das ja auch. Denn es geht vor allem um Beobachtung. Steine umzudrehen. Egal wie das danach verarbeitet und verkleidet wird. Fact oder Fiction. Oder irgendwas dazwischen.

Schreiben ist ein Prozess und die Gedanken sind mitnichten sogleich durchwirkt. Warum auch? Da liegen ja noch ein paar weisse Blätter für weitere Gedanken. Vielleicht liegt ein Missverständnis vieler Diskussionen und deren Diskutanten heute darin, dass nicht jeder Beitrag auch gleich ein Statement ist, womöglich von Ewigkeitswert.

Das gilt übrigens ebenso für das Zeichnen und Skizzieren, das Malen, Fotografieren, anfertigen von Skulpturen gleich welchen Formats, für jeden Ausdruck individueller Informationsverarbeitung.

Möglicherweise befremdet das Menschen, die selbst wenig wirken, Perspektiven ausleuchten, hinschauen, bemüht sind, sich einen Überblick zu verschaffen und zu verarbeiten, um zu einem Ergebnis zu finden. Im Idealfall sucht man den Dialog lange vor dem Ergebnis, um auch andere Blickwinkel einbeziehen zu können. Reflektion ist nicht Reflex.

Manchen Zeitgenossen scheint die Lust am tatsächlich eigenen Gedanken vollkommen abhanden gekommen zu sein. Je nach Sozialisierung verschaffen die sich einen Statementköcher, aus dem nach Bedarf reflexhaft fixfertig gegossene Fremdformate abgefeuert werden, mal schlauer und mal weniger, immer aber wiedergekäut. Meinungsschablonen. Diese Verdichtung von Haltungsstandards sorgt für eine Konzentration der Positionen in „gut“ und „schlecht“ und „scheiße“ sind immer die anderen. Was aber ist, wenn die Pole alle ein Stück weit danebenliegen?

Daraus erwächst wohl auch der merkwürdige Anspruch, andere in Hybris zu ermahnen, die Threads zu deren Beitrag im eigenen Sinn gefälligst porentief rein zu halten, sortenrein: „polarisierungsgerecht“. Aus meiner Sicht ist das eine ganz schlechte Idee, was aber nicht heissen soll, dass Extreme nicht ausgekämmt werden müssen und eigentlich auch alle Diskutierenden ohne Klarnamenprofil, zumindest aber ohne klärbare Identität.

Warum ich gerade so weit aushole? Um für mich herauszufinden, worum es eigentlich geht, wenn einer den Vorwurf einhustet, man schreibe für den „billigen Applaus“. Wörtlich übersetzt bedeutet das nämlich: „du schreibst nicht mirgefällig, also schreibst du für Idioten, deren dumpfes Klatschen Nahrung ist für deinen Geltungskomplex.“ Zwei Fliegen, eine Klappe: „die sind alle doof und du hast einen veritablen Dachschaden“.

Was für mich die Frage aufwirft, ob ein solches Statement nicht regelmäßig viel mehr über den Absender und sein selbstgerechtes Weltbild aussagt, als über seinen Adressaten, über die Ambiguitätstoleranz und Debattenbegabung.

Gegenfrage: Wie kommt man eigentlich auf die Idee, fremde Leute auf deren Profilen unverschämt despektierlich, öffentlich zu maßregeln um damit ein paar Claqueure einzusammeln? Geltungssucht? Vielleicht. Muss man darüber nachdenken? Fazit: eher nicht.

Bruno SchulzComment