Erinnerungen an die Gegenwart.

Mein Facebookbekannter David Kurts ist im Grunde eine gute Seele, verliert sich allerdings von Zeit zu Zeit am Außenrand der Demokratie. Bislang auf der richtigen Seite, was möglicherweise auch seinem bunten Freundesportfolio geschuldet sein mag. Zum Glück findet er zwischen seinen reaktionären Postulaten auch immer wieder Luft für Lichtbilder mit interessanten Perspektiven auf Architektur, Technik und Natur und gerne schon mal im Mix.

Heute präsentiert er uns den Wüstenzug von Mauretanien, einer der längsten und schwersten Bahnen der Welt, die zwischen den Minen von Zouérat und der Hafenstadt und Verladestation Nouadhibou am Atlantik auf den 700 Kilometern der Strecke "Nouadhibou–M’Haoudat" Eisenerze durch die Sahara transportiert. Passagiere können das unkomfortable Vehikel gratis nutzen. Erst kürzlich gab es eine Doku eines mutigen Niederländers dazu, der im Nachgang wochenlang duschen musste, um sich vom Dreck seiner Erfahrungen zu befreien.

Mich erinnert Kurts Post daran, dass ich das Land zuletzt 1997 oder '98 besucht habe, während eines Einsatzes in einem Projekt der internationalen Entwicklungshilfe zur Mittelstandsförderung im Norden des Senegals. Als wir in der traumschönen Lagunenstadt St. Louis am Grenzfluss Sénégal unterwegs waren, erzählte mir mein lokaler Projektassistent, Monsieur Babacar Mboup, aus Thiès stammend, von der doch tatsächlich noch offiziell existierenden Sklaverei Mauretaniens oder der gewerblichen Mädchenmast, der "gavage", was ich zunächst kaum glauben konnte und wollte. So unternahmen wir eine Exkursion und glätteten alle Grenzmisslichkeiten mit ein paar Dollar, Präsenten und der Fürsprache gewichtiger Provinzfürsten. Fazit? Es war alles noch erheblich beschissener, als ich es mir auszumalen vermochte. Die Welt ist ein Abort und die wirre Halluzination von den edlen Wüstenmenschen Westafrikas nach der Befreiung vom Joch der Kolonialisierung könnt Ihr Euch alle getrost an den Hut stecken.

Heute daran erinnert, habe ich ein bisschen nachgegoogelt und ehrlichgesagt, überrascht mich überhaupt rein gar nichts. Die Sklaverei wurde vorgeblich 2007 (!) endlich auch offiziell abgeschaft und steht seither unter Strafe. Faktisch interessiert das niemanden. Die mauretanische Organisation "SOS Esclaves" vermutete 2010 bis zu 600.000 Sklaven in Mauretanien, was 20 % der Gesamtbevölkerung entspräche.

Der Soziologe Kevin Bales gilt als weltweit führender Sklavereiexperte. Er lehrt als ordentlicher Professor an der University of Roehampton in London, ist Mitglied im Komitee von "Anti-Slavery International" und berät die Vereinten Nationen bei der Bekämpfung des Menschenhandels. Man kann also sagen, er ist einigermaßen im Thema. Er berichtet aus, als Zoologe getarnten Forschungsreisen in seinem Werk "Die neue Sklaverei": „Im heutigen Mauretanien gibt es keine Sklaverei, doch wohin man auch blickt, an jeder Straßenecke und in jedem Laden, auf allen Feldern und Weideflächen sieht man Sklaven. Sie fegen und putzen, sie kochen und betreuen die Kinder, sie bauen Häuser und hüten Schafe, schleppen Wasser und Ziegel – sie erledigen alle Arbeiten, die mühselig, unangenehm und schmutzig sind. Die Wirtschaft Mauretaniens lastet einzig auf ihren Schultern; erst ihre nie endende Plackerei ermöglicht den Herren ihr angenehmes Leben und garantiert sogar den Lebensunterhalt derer, die keine Sklaven halten.“

Es sind übrigens nicht die Sklaven aus dem Sahel oder dem Maghreb, die heute Europa erreichen, denn die haben gar nicht die Mittel und die Möglichkeiten, den Transfer zu begleichen.

Das kann man ignorieren, muss man aber nicht.

Bruno SchulzComment