Trauer

Die Schrecken des 7. Oktober 2023 jähren sich heute erstmalig, das Trauma ist überriesengroß und die Trauer wird lange noch nachklingen.

Trauer ist der Gefühlszustand, der sich einstellt, nachdem uns etwas nicht wieder gut zu Machendes widerfahren ist. Den Trauerprozess selbst, hat der systematische Theologe Yorick Spiegel in seiner Habilitationsschrift von 1972 in vier Phasen sehr anschaulich und nachvollziehbar dargestellt: zusammengefasst in Schock, Zurückgewinnung von Kontrolle, Regression und Rückkehr. Aber da sind wir noch lange nicht.

Das Wesentlichste für den Trauerprozess ist, die Menschen wirklich trauern zu lassen. Und nicht, sie mit scheinheilig vorgetragenen Erklärungsmustern zu belästigen, ihre berechtigte Verzweiflung zu kontaminieren. Im Augenblick des Verlustes braucht niemand einen gereckten Zeigefinger Unbeleckter im Wahn von Deutungshoheit. Man muss, kann und sollte die Trauer anderer nicht relativieren wollen. Nicht ins Verhältnis setzen zu eigenen Befindlichkeiten.

Am 7. Oktober hat die Verbrechertruppe Hamas das Tor zur Hölle aufgestoßen. Sie haben sich ergötzt an fremdem, unendlichem Leid und das Leid der eigenen Bevölkerung reichweitenwirksam für das verlogene Narrativ instrumentalisiert. Wer die Unmenschlichkeit des Massakers in Frage stellt, oder meint, dieses in einer kaum erdenklichen Weise rechtfertigen zu können, verfügt über die Empathie einer AK 47, die rationalen Potenziale eines nordaustralischen Salzwasserkrokodils und die Moral einer Roulettekugel in den ehemaligen illegalen Zockerhöllen in der Walled City von Hong Kong. Nein, Ihr menschlichen Sondermülldeponien: Menschen zu massakrieren, war nie gut, ist nicht gut und wird auch nie gut sein werden. Mit Freiheit hat das nichts zu tun. Gar nichts.

Die Greueltaten wurden in Gaza, wo man die an Leib und Seele zerstörten Opfer und Geiseln bei öffentlichen Triumphumzügen vor zivilem Familienpublikum stolz präsentierte und laut feixend beklatschen ließ wie eine banale Drückjagdstrecke, wie auch in Ramallah laut singend und schunkelnd mit Süßigkeiten gefeiert, in Teheran und Neu Kölln, in den Banlieues von Paris und Marseille, überall da, wo die „Extremisten“ beheimatet sind. Es ist das gleiche Klientel, das in propalästinensischen Demonstrationen um die Häuser der zenraleurpäischen Metropolen zieht und laut skandierend, die Juden per se ins Gas schicken möchte. Es geht nicht nur um Israel. Man möchte sich erbrechen.

Ignoriere ich damit das unendliche Leid der palästinensischen Mutter, die im Bombardement Gazas ihre Familie verloren hat? Nein! Ganz sicher nicht. Auch das ist grauenvoll. Auch sie hat mein aufrichtiges Mitgefühl, keine Frage. Ich denke allerdings, dass man Leid nicht in Konkurrenz stellen kann und darf.

Zudem kann ich mich nicht entsinnen, von frohlockenden Folklorefeiern in Jerusalem oder Tel Aviv gehört zu haben, wo man das Elend des Gegners ebenso belacht und bejubelt hätte. Nein, dazu bedarf es schon eines ausgesprochenen Haltungsschadens.

Der 7. Oktober ist eindeutig. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum. Das Unaussprechliche gemahnt an die Mordaktionen und Deportationen durch die deutschen Nazis. Dieses Datum ist für alle Zeiten ein Zeichen und gehört einzig und allein den Angehörigen der Unglücklichen und ihrer Trauer und niemandem sonst. Schon gar nicht den Sympathisanten ihrer Mörder.

Was mich das überhaupt angeht? Ich lebe derzeit in Deutschland und ich glaube an die besondere Verantwortung, die dieses Land gefälligst zu tragen hat, ohne hier meine persönlichen Verbindungen zu jüdischen Freunden belasten zu wollen, denn den „jüdischen Freund“ hat ja heute jeder, wenn es um den unumstößlichen Beleg geht, kein Antisemit sein zu können.

Ich bin dem Sujet zumindest näher, als der nichtpalästinensiche Demonstrant in deren Sache, der bereits in der dritten Generation sein Dasein im verhassten Westen fristet, kompromittiert von staatlich generierter Sorglosigkeit. Oder dem wohlstandsverwahrlosten Spross reicher Eltern, der sexuell indifferent an seiner Hochschule bei den geselligen „Queers for Palestine“-happenings lustvoll mittrötet, ohne sich mit seiner eigenen potenziellen, mittleren Halbwertzeit am Ort seiner Sehnsüchte vertraut gemacht zu haben.

Mein tiefes aufrichtiges Beileid und ein zutiefst und ehrlich empfundenes „nie wieder“.

Informationen zum 7. Oktober, z.B.:

https://www.morgenpost.de/.../was-die-hamas-terroristen...

Bruno SchulzComment