Ein Meme und seine „wahre Geschichte“.

„Wäre uns der Unterschied zwischen immateriellen und materiellen Gütern real bewusster, dann würde das die Konsumgesellschaft bedrohen.“

Siegfried Santura.

Im Mai 2021 versteigerte das Mailänder Aktionshaus Art-Rite die unsichtbare Skulptur „Io sono“ des sardischen Künstlers Salvatore Garau für annähernd 15.000 Euro. Im erzielten Preis enthalten war ein Echtheitszertifikat, die Existenz zu bestätigen.

Tatsächlich hatte ein Sammler das Werk bereits 2020 für 2.800 Euro von Garau erstanden mit einer gezeichneten Autorisierung und der Anweisung, in welchem Rahmen die Figur aufzustellen sei: "Aufzustellen in einem Privathaus, in einem Raum frei von Hindernissen auf 150 x 150 cm. Das Zertifikat darf nicht im selben Raum ausgestellt werden wie das Werk. Nichts soll ablenken". Respekt!

Das Kunstwerk ist übrigens Teil einer Serie. Garaus Skulptur „Buddha in Contemplazione“ („Buddha in Kontemplation“) steht schon seit Februar 2021 vor der Mailänder Scala, erkennbar lediglich per hinweisender Markierung als Tapequadrat auf dem Pflaster.

Seit Ende Mai 2021 weist ausserdem noch eine kreisrunde Markierung vor der New Yorker Börse in der Wall Street auf eine weitere unsichtbaren Skulptur des Künstlers hin mit dem zauberschönen Titel „Afrodite piange“ - „Aphrodite weint“.

Garau ist nicht der erste Künstler, der „immateriell“ arbeitet. Vor ihm taten das auch schon Leute wie Yves Klein, Warhol, der Bananen-Cattelan oder etwa Robert Rauschenberg, der 1961 eingeladen wurde, im Rahmen einer Gruppenausstellung ein Porträt der Galeristin Iris Clert zu schaffen. Rauschenberg sendete lediglich ein Telegramm: "Dies ist ein Porträt von Iris Clert, wenn ich es sage."

Es gab sogar Leute, die Garau wegen Urheberrechtsverletzungen vor den Kadi zerren wollten. So lächerlich wie vergebens.

Drei Anmerkungen Salvatore Garaus gefallen mir sehr: Die nämlichen, „immateriellen“ Skulpturen seien gar nicht unsichtbar, sondern eben nur nicht für das Auge sichtbar. Und: "Warum glauben Menschen an einen Gott, den niemand je gesehen hat?" Oder: Die immaterielle Statue in New York stehe vor der Börse, in der immatrielles Geld kursiere.

Garau will das alles nicht als Parodie verstanden wissen, aber als Poesie und Abbild unserer Zeit. Nicht schlecht.

Man wundert sich natürlich nicht, dass der Künstler und sein Werk Brigitte und Frank Mustermann neben deren internationalen Inzestgeschwistern, der Weltengemeindchaft der Wutbürger, augenblicklich in den wutschäumenden und zähnefletschenden Wahnsinn treiben musste und muss. Das dummbratzige „das hätte ich auch gekonnt“, das als profanidiotische Laienexpertise seit Dekaden die moderne Kunst zu diffamieren trachtet, wurde auch hier wieder reflexhaft in alle verfügbaren Threads defäkiert. Man betrachte allein den Instagramaccount des Kunstschaffdnden. „Nein Schwachkopf, hättest du eben nicht gekonnt - face it. So!“

Angetrieben durch die sensationsgeilen, hyperventillierenden Medien, die so ausnahmslos wie geflissentlich unterschlugen, dass ja nicht Garau die 15 K erzielte, aber sein privater Sammler und Spekulant. Ein kleiner, aber sehrwohl feiner Unterschied und ein weiteres, sehr bedenkliches Zeichen unserer Zeit. Will sagen, Garau hatte immerhin eine Idee, aber woran wurde dann schließlich wirklich „verdient“ und was für ein Wert wurde da eigentlich wie und von wem, warum und wofür erschaffen?

Meine Sympathien hat er.

Bruno SchulzComment