Sehnsüchte
Interessant, wie sich die Sehnsüchte zum Wochenausklang mit der Zeit verändern und man sich als Achtundfünfzigjähriger wieder über ein nur vermeintlich einfaches Eis von der wunderbaren Bad Kreuznacher „Blauen Eisdiele“ als exklusiven Programmpunkt für den Freitagabend freut. Freuen kann.
Des Eiscafés der Familie Costantin aus dem Zoldotal in den Dolomiten, die ich bereits seit 1978 kenne. Ich hatte dort als Zwölfjähriger mein Portemonnaie samt Schülerausweis verloren, warum die Patronin der Dynastie, Lavigna Costantin, Kontakt aufzunehmen und meine dramatische Verlustsituation in Sachen Taschengeld zu entspannen vermochte. Sowas konditioniert. Das verbindet.
Lavigna Costantin galt als weiblicher Buster Keaton von Bad Kreuznach, sie war die Frau, die fast nie lachte. Aber auch weder Stift noch Block benötigte, um selbst bei berstend gefülltem Lokal die korrekten exotischsten Eisbecherkombinationen neben exzentrischer Extrawürste an die richtigen Tische zu expedieren, denn sie hatte das Gedächtnis jener ungarischen Ziffernathleten, die sich coram publico eine fünfhundertstellige Zahl für wenige Sekunden betrachten, um diese dann in unendlichen Minuten folgerichtig abzuspulen. Sensationell!
„Wetten Dass!“ wäre ein Kinderspiel für sie gewesen, aber sie hatte wichtigeres zu tun und Generationen von Kreuznacher zu einem ausgezeichneten „gusto di gelato“ zu erziehen. Wie unter unzähligen anderen auch meinen Sohn Jasper, deutlich mehr als zwanzig Jahre später, der sich der Familie ebenfalls verbunden fühlte und bis heute fühlt.
Inzwischen macht Manuel das Eis und mir schmeckt keines besser nirgendwo. Das ist für mich der Maßstab, denn ich hatte das große Glück, mit einer solchen Qualität sozialisiert zu werden.
Und dann ist da noch und sicher nicht zuletzt die wunderbare Anna, die dort seit Jahrzehnten unermüdlich unterstützt und mit der ich erst gestern abend an der Theke ein kleines Schwätzchen über unsere gemeinsame Liebe für Neapel und die cucina napoletana halten durfte: „Was macht die Familie, die Kinder, die Wohnung in Kampanien?“
Warum ich das alles aufschreibe? Weil ich gerade auf meiner Terrasse sitze, die Ruhe genieße, wie den Blick in die grüne Hölle des Central Parks unseres beschaulichen Mittelzentrums und das Joghurt-Stracciatella-Bacio-Malaga vor mir, die Glückskombination von cremigem Milchspeiseeis für alte Knaben. Und beim nächsten Mal sind es dann eben die köstlichen Sorbets.
Ich wünsche allen ein schönes Wochenende.